Antisemitismus in Bebra
Im Zuge der „Bauernbefreiung“ ab 1832 konnten sich die kurhessischen Bauern von allen Lasten gegenüber den Grundherren freikaufen für das zwanzigfache der jährlichen Abgaben. Das nötige Kapital konnte bei der Landeskreditkasse geliehen werden. Wenn der Kredit nicht reichte oder infolge von Notlagen nicht beglichen werden konnte, halfen jüdische Geldverleiher aus. Bei Christen galt zu der Zeit der Geldhandel gegen Zinsen als unmoralisch. Wenn Zahlungsverzug entstand, gingen immer wieder Haus und Hof an die jüdischen Geldverleiher über. Dies war der Anlass für antisemitische Strömungen, die sich in Bebra z. B. in einer „antisemitischen Volksversammlung“ am 11. Juli 1886 zeigten. Redner Dr. Otto Böckel sagte:
„Wir sind nicht die Brandredner, als die man uns sonst verschreit … Nein, nur begeisterte Patrioten, die ein Mitleid haben mit dem armen ausgewucherten Nebenmenschen. Schutz des Deutschen gegen die Ausbeutung durch den Juden ist unser Bestreben … Das deutsche Volk darf nicht zugrunde gehen, deshalb sind es deutsche Männer, die den Mut gefunden haben, dem Feinde offen und energisch entgegenzutreten, um das Vaterland zu retten vor der Schlingpflanze, die es zu ersticken droht.“
Der hiesige Wahlkreis war von 1893 bis 1908 der erfolgreichste für die „Antisemitsche Volkspartei“ in Preußen. In Bebra erzielte sie in 1893 208 von 319 abgegebenen Stimmen.
Am Ende der Weimarer Republik zeigte sich die hohe Empfänglichkeit der Bevölkerung für antisemitische Politik. Im Juli 1932 erzielte die NSDAP in Bebra 66,9 % der Stimmen. Im Deutschen Reich lag der Anteil bei 37,3 %.
Direkt nach der Machtübernahme begannen auch in Bebra Aktionen zur Einschüchterung und Verdrängung de Juden. Ilse Abraham berichtete: Am 1. April 1933:
„… begann die Regierung mit der ersten offiziellen Aktion gegen die Juden: Ein Wachmann mit geladenem Gewehr wurde vor jeden jüdischen Laden, Geschäft oder Fabrik stationiert, so dass es keinem „Arier“, wie sie die Deutschen nannten, gestattet war, die Anwesen zu betreten. Diese Maßnahme war nur für einen Tag, aber es schreckte die Leute von uns ab.“
Viele jüdische Mitbürger blieben aber abwartend und zuversichtlich. Die Tochter Ilse des Kaufmanns Siegfried Abraham berichtete:
„Meine Mutter wollte sofort, wie es auch viele unserer Freunde taten, Deutschland verlassen. Es wäre leicht gewesen, nach Amerika zu gelangen. Und es war immer noch möglich, unseren ganzen Haushalt zu verkaufen und mit dem Geld ein neues Leben zu beginnen. Mein Vater, der sein ganzes Leben ein deutscher Patriot war, wollte nicht darauf hören. Er war sich sicher, dass die Nazis ihn in Ruhe lassen würden. Hatte er nicht im ersten Weltkrieg für dies Land gekämpft? War er kein Veteran? So blieb unsere Familie … Wir blieben, Tag für Tag mit der Ungewissheit, ob wir nicht verhaftet und fortgebracht, oder sogar im eigenen Haus ermordet würden.“
Neue Gesetze wie das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ in 1933 und die „Nürnberger Gesetze“ von 1935 schränkten die Rechte der Juden immer weiter ein. Ein immer größerer Teil der jüdischen Bevölkerung sah keine Zukunft mehr in Bebra. Zwischen 1933 und 1940 verließen 166 Juden Bebra. Die meisten suchten Schutz in der Anonymität der Großstädte wie Frankfurt. 29 Personen emigrierten direkt ins Ausland, davon 13 in die USA. In 1937 gab es noch 89 jüdische Einwohner in der Stadt Bebra.
Nach der Progromnacht gab es weitere gesetzliche Verschärfungen, die jüdische Schüler/innen vom Schulbesuch ausschlossen, den Betrieb eines Geschäftes oder einer Handwerksfirma verboten. Der Wegzug und die Auswanderung von jüdischen Mitbürger/innen wurde dadurch stark beschleunigt.
Ab 1941 mussten Juden einen gelben Stern auf der Kleidung tragen. Wer jetzt noch in Bebra lebte, war zu arm, um auswandern zu können. An die Stelle der Verdrängungspolitik rückte nun die Vernichtung aller jüdischen Menschen in Vernichtungslagern wie Auschwitz und Treblinka. In Bebra lebten zu der Zeit noch 25 Juden.
Am 31. Mai 1942 wurden 16 Juden aus Bebra in ein Auffanglager in Kassel deportiert. Die Stadt Bebra erhielt dazu folgende Instruktion:
„In dem Melderegister ist nicht ein Zielort anzugeben, sondern lediglich „unbekannt verzogen“. An Gepäckstücken dürfen mitgeführt werden:
a) ein Koffer oder Rucksack mit Ausrüstungsgegenständen …
b) Handgepäck mit Mundvorrat für ca. 10 Tage …
Die Juden haben sämtliches Bargeld auf den Transport mitzunehmen. Wertsachen wie Gold, Silber und Platin sind ihnen zu belassen. Die Lebensmittelkarten sind mitzunehmen.
Das in den Wohnungen der zu evakuierenden Juden zurückbleibende Vermögen gilt als beschlagnahmt …“
Von Kassel aus wurden die deportierten Männer in das Arbeitslager Lubin gebracht, Frauen und Kinder kamen in das Vernichtungslager Sobibor.
Am 6. September 1942 werden die letzten 5 jüdischen Einwohner/innen Bebras nach Theresienstadt deportiert. Der Bürgermeister vermeldete: „Bebra ist judenfrei!“
Quelle: Gerhard Rabe: Über 350 Jahre lebten Juden in Bebra. Gedemütigt, vertrieben und deportiert. In: Magistrat der Stadt Bebra (Hg.): Chronik der Stadt Bebra. 1250 Jahre, Bebra 2019