Jüdische Mitbürger

Die Menschen hinter den Stolpersteinen

Die jüdische Gemeinde in Bebra zählte vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten über 200 Frauen, Männer und Kinder. Sie alle waren Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, betrieben Geschäfte oder waren aktiv in Vereinen. Während einige auf Druck der Nationalsozialisten ihre Heimat verlassen mussten, wurden 82 von ihnen in Vernichtungslagern ermordet. Von ihnen und ihren Schicksalen sei auf dieser Seite berichtet.

Familien Levi, Frank und Süsskind - Apothekenstraße 10

  1. Betty Levi geborene Frank
  2. Traudel Levi verheiratete Süsskind
  3. Sophie Frank geborene Fürth
  4. Sally Süsskind
  5. Jenny Süsskind geborene Wallach
  6. Max Moses Levi
  7. Hedwig Levi
  8. Ludwig Lutz Levi

Betty Levi wurde 1892 in Eppingen geboren. Ihre Mutter ist Sophie Frank. Betty heiratete Samuel Levi aus Bebra, den Sohn von Levi und Gütchen Levi, damals in Ronshausen ansässig. Nach dem Tod ihres Ehemannes Samuel Levi im Juni 1938 gab Betty Levi das Geschäft in Ronshausen auf und beschränkte sich auf das in der Apothekenstraße 10 in Bebra geführte Versandgeschäft. Am 31. Mai 1942 wurde Betty nach Kassel und von dort am 1. Juni 1942 ins Vernichtungslager Sobibor im Bezirk Lublin/ Ostpolen verschleppt, wo ihr Leben am 3. Juni 1942 in einer Gaskammer endete.

Traudel Levi, verheiratete Süsskind, war die Tochter von Betty und Samuel Levi. Sie wurde am 14. September 1914 in Bebra geboren. Im Juni 1936 flüchtete sie nach Jerusalem, wo sie den Kinderarzt Dr. Karl Süsskind heiratete, der aus Heuchelheim stammte. Traudel Levi-Süsskind starb 1979. Ihre beiden Söhne Dan und Gidon, ihre Tochter, Yael und 17 Enkel und Urenkel leben heute in Israel.

Im Poesiealbum von Martha Keim verh. Pippert finden wir Traudel Levis Eintrag aus dem Jahr 1925.

Was Du sagest, das sei wahr.
Ehrlich bleibe immerdar.
Halte Wort in jedem Fall,
dann traut man Dir überall.
Benutze redlich Deine Zeit,
Willst was begreifen, suchs nicht we(it).
Zur steten Erinnerung an Deine Freundin Traudel Levi

Das Poesiealbum liegt als Original Im Jüdischen Museum In Rotenburg a. D. Fulda. 

Als 80-Jährige erinnerte sich Martha Keim-Pippert an die Levis und deren Tochter Traudel, ihre Freundin aus der Jugendzeit:

„Wenn es neue Stofflieferungen bei Levis gegeben hatte, und für Traudel ein Kleid oder eine Bluse geschneidert wurde, dann geschah es, dass auch für mich, Traudels Freundin, das gleiche Kleidungsstück genäht wurde.

Sophie Frank wurde 1870 in Eppingen geboren. Sie kam Ende Oktober 1937 als Witwe aus Eppingen zu ihrer Tochter Betty in das Haus Apothekenstraße 10. In Bebra durchlitt Sophie in der Nacht vom 7. zum 8. November 1938 die schweren Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung, zwei Tage vor der von den Nazionalsozialisten als „Kristallnacht“ bezeichneten reichsweiten Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938. Sie war im Bett, als die Plünderer durch das Haus in der Apothekenstraße 10 tobten. Sie kamen in ihr Zimmer, schmissen den Kleiderschrank um und auf ihr Bett und jagten die alte Frau in Schrecken.

Am 10. November, nachdem man ihnen bedeutet hatte, Juden seien nicht länger am Ort erwünscht, entschloss sich Sophie Frank und ihre Tochter Betty Levi im nahen Eisenach einen weniger unsicheren Aufenthaltsort zu suchen. So kamen sie nach Eisenach in die Pension Stern in der Georgenstraße 36. Als sich in Eisenach die schon in Bebra erlebten schlimmen Ereignisse wiederholten, führte dies bei der 68-jährigen Sophie Frank zu einem Nervenzusammenbruch. In dessen Folge stürzte sie sich am frühen Nachmittag des 12. November 1938 aus einem Fenster im 2. Stock der Pension Stern. Sie wurde im Feld XXXII in der Grabreihe 101 der jüdischen Abteilung des Eisenacher Friedhofs bestattet.

Jenny Wallach stammte aus Nesselröden, sie heiratete Sally Süßkind aus Atzbach bei Gießen, das Ehepaar wohnte in Heuchelheim. Im Juli 1940 kamen die beiden nach Bebra. Sally und Jenny Süßkind wurden am 30. Mai 1942 nach Kassel und von dort am 1. Juni 1942 in das Vernichtungslager Sobibor in Ostpolen deportiert.

Max Moses Levi wurde am 5. März in Ronshausen geboren. Er war der Bruder von Samuel Levi. Seine Frau Hedwig stammte aus Nesselröde. Die Familie Levi besaß in Ronshausen ein stattliches Anwesen, von wo aus die Brüder Levi Handel mit Stoffen, Wäsche, Konfektionsware und Nähmaschinen betrieben. 1920 verlegten die Brüder ihren Sitz nach Bebra in die Apothekenstraße 10 und betrieben von hier einen Versandhandel.

Nach Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 und der Etablierung der NS-Herrschaft mussten die Levis kontinuierliche Umsatzeinbußen hinnehmen. Schließlich überließ Moses Max das Geschäft seinem Bruder Samuel und zog mit seiner Frau Hedwig nach Fulda in die Heinrichstraße 48. Die in Fulda lebenden jüdische Menschen, darunter auch Max und Hedwig Levi, wurden am 5. Dezember 1941 nach Kassel und zwei Tage später ins Ghetto Riga verschleppt. Dies zeigt, dass sie trotz der in der Stadt Fulda geringeren täglichen Demütigungen, früher als die noch in Bebra verbliebenen jüdischen Menschen, in die Vernichtung deportiert wurden.

Max und Hedwigs Sohn Ludwig, genannt Lutz, 1907 geboren, konnte im Sommer 1939 nach London ausreisen. Von dort gelangte er nach New York City, wo er als Modezeichner arbeitete. Lutz heiratete die aus Dresden stammende Vera Kahn. Die Nachkommen der beiden leben noch heute in den USA.

Familie Emanuel - Hersfelder Straße 7

  1. Baruch Emanuel
  2. Manfred Emanuel
  3. Rolf Emanuel
  4. Martha Emanuel

In der Hersfelder Straße 7 lebte die Familie Emanuel. Baruch, geboren 1865, und seine Frau Sara zogen nach der Jahrhundertwende von Nentershausen nach Bebra. Dort erwarben sie das stattliche Haus in der Hersfelder Straße 7 und fanden hier mit ihren drei Kindern – Frida, Johanna und Manfred – ein großzügiges Zuhause. In den 1920er Jahren übernahm Sohn Manfred den elterlichen Manufakturwarenhandel und baute ihn zu einem florierenden Unternehmen aus. Er heiratete Martha Oppenheim. 1925 wurde ihr Sohn Rolf geboren.

In der Nacht vom 7. auf den 8. November 1938 wurde das Leben der Familie durch die Pogrome zerstört. Aus einem Briefwechsel, der im oberen Geschoss der Emanuels lebenden Gerda Kappes und deren Schwiegermutter geht hervor, dass fanatische Nationalsozialisten in die Häuser jüdischer Familien eindrangen. Sie rissen Menschen aus ihren Betten und richteten ein Trümmerfeld an. Möbel, Porzellan, Glas und Fensterscheiben wurden zertrümmert. Im Haus in der Hersfelder Straße 7 blieb nach jener Nacht kein Fensterkreuz, keine Tür mehr unversehrt – stattdessen bedeckte ein zwei Zentimeter hoher Teppich aus Glasscherben den Boden.

Sara Emanuel war bereits 1933 verstorben. Nach den Ausschreitungen floh Baruch zu seiner Tochter Johanna an die Nordseeküste. Doch sein Aufenthalt dort währte nur kurz. Im Februar 1940 wurde er in das jüdische Altersheim in Bremen gebracht, wo er bis Juli 1942 lebte. Dann wurde er mit 779 weiteren älteren Menschen im Sonderzug „Da 75“ in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Die dortigen Lebensbedingungen überlebte er nur wenige Monate – am 14. November 1942 starb Baruch im Alter von 77 Jahren.

Manfred, Martha und ihr damals knapp 14-jähriger Sohn Rolf fanden in der ersten Januarwoche 1939 Unterschlupf in einem Aachener Baugeschäft. Dort erhielten Vater und Sohn eine Anstellung als Hilfsarbeiter und eine einfache Unterkunft. Doch diese Zuflucht war nur von kurzer Dauer. Am 15. Juni 1942 wurden Manfred und Rolf in das Konzentrationslager Lublin-Majdanek verschleppt, wo sie bereits nach zwei Wochen ermordet wurden. Lange Zeit blieb ungewiss, was mit Martha geschehen war. Nach Einsicht in die Deportationsakten lässt sich vermuten, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn 1942 von Aachen in das Transitlager Izbica im östlichen Polen deportiert wurde – und dort ihr Leben verlor.

Familie Levi - Nürnberger Straße 54

  1. Leopold Levi
  2. Martha Levi geb. Frank

Leopold Levi wurde 1897 als älterer Sohn von Wolf Benjamin und Jeanette Levi geboren. Sein jüngerer Bruder Siegfried verstarb bereits 1916 – in jenem Jahr, in dem Leopold in Bad Hersfeld das Abitur ablegte. Anschließend studierte er Kunstgeschichte in Heidelberg. Im Juni 1927 heiratete er Martha Frank aus Eppingen.

Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten konnte Leopold seine akademische Ausbildung kaum noch beruflich nutzen und arbeitete stattdessen im elterlichen Geschäft. Seine umfangreiche Sammlung von Kunstbüchern fiel den Novemberpogromen 1938 zum Opfer – sie wurden von den Nationalsozialisten zerstört und verwüstet.

In jener Nacht drangen betrunkene SA-Männer in Leopolds Haus ein, zerrten ihn heraus und zwangen ihn, das SA-Kampflied zu singen. Seine Frau Martha wurde wenige Tage später von einem Lokomotivführer vergewaltigt. In ihrer Verzweiflung versuchte sie, sich das Leben zu nehmen, indem sie sich die Pulsadern aufschnitt. Sie überlebte jedoch und floh am 12. November 1938 mit ihrer Mutter nach Eisenach.

Anfang 1939 suchten Leopold und Martha Levi Zuflucht in Mannheim, wo sie sich in der Anonymität der Großstadt mehr Sicherheit erhofften. Sie bezogen die Wohnung von Marthas Cousine Irene, die mit ihrem Bruder bereits nach England geflüchtet war. Doch ihre Hoffnung auf Schutz trog: Sie gehörten zu den ersten badischen Juden, die in großer Zahl deportiert wurden.

Am 20. Oktober 1940 wurden Leopold und Martha zusammen mit mehr als 6.500 weiteren jüdischen Bürgern aus Baden in das Internierungslager Gurs in den französischen Pyrenäen verschleppt. Von dort aus führte ihr Leidensweg über eine Zwischenstation in Paris schließlich nach Auschwitz. Am 10. Oktober 1942 wurden sie in der Gaskammer ermordet.

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Familie Fulda - Nürnberger Straße 48

1. Adolf Fulda
2. Meta Fulda geb. Oppenheim

Meta Oppenheim wurde 1892 als jüngstes von sieben Kindern von Joseph und Bertha Oppenheim geboren. Ihre Eltern eröffneten 1903 in der Nürnberger Straße 48 das Kaufhaus Joseph Oppenheim. Meta heiratete den Kaufmann Adolf Fulda aus Emden. Gemeinsam führten sie das Geschäft in Bebra, bis es 1929 in Konkurs ging. Sieben Jahre später, 1936, übernahm Fritz Schuhmann das Geschäft, bot ein ähnliches Sortiment an und erweiterte es 1939 erstmals räumlich.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verließen Adolf und Meta Bebra und zogen nach Frankfurt. Dort lebten sie zunächst in der Gausstraße 23, später in der Hanauer Landstraße 36. Am 11. November 1941 wurden sie von dort zusammen mit 1060 weiteren jüdischen Bürgerinnen und Bürgern aus Frankfurt ins Ghetto Minsk deportiert. Nur elf Menschen überlebten diesen Transport – Adolf und Meta gehörten nicht dazu.

Das Paar hatte einen Sohn namens Moritz, der 1925 geboren wurde. Im Sommer 1939 gelang es ihnen, ihn mit einem sogenannten Kindertransport nach England zu schicken. In Manchester baute Moritz sich später eine neue Existenz auf, gründete eine Familie und wurde Vater eines Sohnes.

Metas Vater, Joseph Oppenheim, war einer der 30 Bebraner, die im Dezember 1908 eine Kreditgenossenschaft gründeten, die später als Bebraer Bankverein weitergeführt wurde. Bis 1925 war er Mitglied des Vorstands. Metas Mutter, im Volksmund „dicke Bertha“ genannt, engagierte sich gemeinsam mit Rosa Fackenheim und Adele Katz im Vaterländischen Frauenverein des Roten Kreuzes. Joseph und Bertha Oppenheim verstarben im Sommer 1935 innerhalb von zwei Wochen. Ihre Kinder setzten ihnen einen gemeinsamen Grabstein. Metas älterer Bruder Moritz fiel bereits im Ersten Weltkrieg, am 13. September 1914. Sein Name ist auf der Gedenktafel für die im Krieg gefallenen Bebraner verewigt.

Familie Katz - Nürnberger Straße 24

  1. Walter Katz
  2. Reni Katz geb. Ochs
  3. Alfred Katz

Walter Katz wurde am 14. November 1895 in Bebra geboren. Sein Vater, Salomon Katz, hatte sich hier um das Jahr 1900 mit einem Handel für Lederwaren und Schuhmacherartikel selbstständig gemacht. Das Geschäft florierte und wurde in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg um den Handel mit Nähmaschinen, Kleinklavieren und Fahrrädern erweitert. In den 1920er Jahren kam sogar eine Shell-Tankstelle hinzu. Noch heute zählt das Gebäude trotz baulicher Veränderungen zu einem markanten Punkt in Bebra.

Am 1. April 1921 trat Walter Katz als persönlich haftender Gesellschafter in die Firma ein, die fortan als Offene Handelsgesellschaft geführt wurde. Walters Mutter Adele war die Tochter des Lehrers Joseph Oppenheim, der später in Schötmar, Lippe-Detmold, unterrichtete. Der wirtschaftliche Erfolg der Familie ermöglichte es, Walter auf das Hersfelder Gymnasium zu schicken, das er mit der Mittleren Reife im März 1911 verließ.

Als einziger Sohn war er als Erbe des Familienunternehmens vorgesehen. Nach einem verkürzten Militärdienst wurde er 1914 als Frontsoldat eingezogen. Später heiratete er die Eisenacher Jüdin Reni Ochs, deren Schwester Marie ebenfalls nach Bebra zog und dort den Kaufmann Leo Oppenheim heiratete.

Walter und Reni bekamen 1928 ihren Sohn Alfred. Doch schon in seiner Kindheit wurde Alfred die zunehmende Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung schmerzhaft bewusst. Er durfte auf Klassenfotos nicht neben seinen Mitschülern stehen, und das Spielen auf dem Schulhof war jüdischen Kindern untersagt – sie mussten sich in einem abgetrennten Bereich aufhalten. 1935 wurde ihm der Schulbesuch schließlich ganz verweigert. In der Hoffnung, in Köln anonym leben zu können, zog die Familie dorthin. Doch sechs Jahre später begann ihr Leidensweg in die Vernichtung.

Am 30. Oktober 1941 wurden Walter, Reni und Alfred Katz in das Ghetto Lodz deportiert. Das letzte Lebenszeichen von Walter stammt vom 4. August 1942. Zwei Jahre später, 1944, wurden Reni und Alfred im Vernichtungslager Chelmno in der Gaskammer ermordet.

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Das Kaddisch

Gross und geheiligt möge sein erhabener Name werden in der Welt, die Er nach seinem Willen geschaffen hat
und er lasse sein Reich zur Herrschaft gelangen während eurer Lebenszeit und in euren Tagen
und während der Lebenszeit des ganzen Hauses Israel sogleich oder doch in naher Zeit.
Darauf sprechet Amen! Wahr ist es!
Sein großer gepriesener Name sei für immer und ewig gelobt.
Gepriesen, verherrlicht, erhoben, erhöht, geschmückt, gesteigert und verehrt sei der Name des Heiligen -
gepriesen sei Er - der erhaben über jeden Preis, jedes Lied, jeden Ruhm und jede Tröstung,
die hiernieden gesprochen werden können. Darauf sprechet: Amen!
Der in seinen Höhen Frieden stiftet, er schaffe auch uns und ganz Israel Frieden.
Darauf sprechet: Amen!

vorgetragen anlässlich der dritten Stolpersteinverlegung am 22. Juni 2023
von den Pfarrern Martin Schacht und Christoph Brunhorn

Familie Neuhaus - Amalienstraße 3

1. Ruth Neuhaus
2. Isaak Neuhaus

Isaak Neuhaus wurde 1876 geboren und lebte zuletzt mit seiner Tochter Ruth in der Amalienstraße 3. Ruth, das jüngste von fünf Kindern von Isaak und Selma Neuhaus, kam am 25. Oktober 1918 zur Welt. Isaak stammte aus Baumbach und betrieb in Bebra einen Viehhandel.

Als Ruth noch keine sieben Jahre alt war, verlor sie ihre Mutter Selma an Brustkrebs. In dieser schweren Zeit war Isaaks Schwägerin Martha Lindau eine große Stütze für die Familie. Obwohl sie selbst zwei Kinder versorgen musste und ihren Mann Sally im Ersten Weltkrieg verloren hatte, fühlte sie sich verpflichtet, Isaak und seine Kinder zu unterstützen. Wirtschaftlich ging es Isaak trotz der Wirtschaftskrise der 20er zunächst noch gut, doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 verschlechterte sich seine Lage dramatisch. Der Antisemitismus der NS-Gesellschaft führte dazu, dass viele seiner Kunden absprangen und der Handel mit jüdischen Kaufleuten zunehmend eingeschränkt wurde. Sein Viehhandel brach ein. 1939 gelang ihm die Flucht nach Südafrika.

1939 zog Ruth nach Hamburg, wo sie im Stadtteil Eppendorf als Hausmädchen in der jüdischen Arztfamilie Dr. Jonas arbeitete. Sie war damals 21 Jahre alt. Möglicherweise hatte sie über den Kaufmann Herrmann Goldschmidt, einen früheren Nachbarsjungen ihrer Mutter, den Kontakt dorthin bekommen. Auch ihre Tante Martha Lindau lebte seit 1933 in Hamburg.

Am 25. Oktober 1941, ihrem 23. Geburtstag, wurde Ruth nach Łódź ins Ghetto deportiert. Dort musste sie in verschiedenen Bereichen arbeiten – in der Landwirtschaft, im Gartenbau und in Schneiderwerkstätten. Drei Jahre unter den grausamen Bedingungen des Ghettos erschöpften ihre Kräfte so sehr, dass sie schließlich nicht mehr arbeitsfähig war. Am 12. Juli 1944 wurde Ruth mit 700 weiteren Menschen im Transportzug Nr. 84 nach Chełmno deportiert. Den Deportierten wurde vorgespiegelt, dass sie für einen Arbeitseinsatz außerhalb des Ghettos vorgesehen seien. Doch in Wirklichkeit wurden Ruth und alle anderen als nicht mehr arbeitsfähig geltende Menschen direkt nach ihrer Ankunft in einer Gaskammer ermordet.

Familie Abraham - Nürnberger Straße 18 und 19

  1. Salomon Abraham
  2. Louise Abraham geb. Jüngster
  3. Ludwig Abraham
  4. Siegfried Fredi Abraham
  5. Dankmar Abraham
  6. Ida Abraham geb. Fackenheim
  7. Leo Abraham
  8. Siegfried Abraham

Salomon Abraham betrieb in der Nürnberger Straße 18 ab ca. 1900 zusammen mit seinen Brüdern Joseph und Siegfried eine Manufaktur- und Modewarenhandlung, die bald von ihm allein geführt wurde. Das Wohn- und Geschäftshaus Abraham (später Uhren-Becker) war einer der markanten Blickpunkte in Bebras Hauptgeschäftszeile, der Nürnberger Straße.

Aus Verzweiflung über das, was er in den Jahren nach 1933 erleben und erleiden musste, wählte Salomon zwei Tage vor seiner geplanten Deportation am 3. September 1942 den Suizid. Als Todesursache ist im Bebraer Sterberegister „verblutet“ vermerkt. Sein Leichnam wurde in das 20 km entfernte Diemerode geschafft und unter Mithilfe von polnischen Zwangsarbeitern auf dem dortigen jüdischen Friedhof verscharrt.

Louise Abraham geb. Jüngster, Salomon Abrahams Frau, kam aus Tann in der Rhön, wo sie am 8. August 1878 geboren wurde. Louise Abraham gehörte zu den letzten jüdischen Bewohnern Bebras, die am 5. September 1942 zunächst nach Kassel und von dort zwei Tage später nach Theresienstadt deportiert wurden. Am 23. Februar 1943, nach fünf Monaten Qualen und Entbehrungen im Theresienstädter Ghetto, starb Louise im Alter von 65 Jahren.

Die Söhne von Salomon und Louise Abraham, Ludwig, Siegfried und Dankmar, konnten rechtzeitig aus Deutschland fliehen. Nach dem Krieg setzten sie für ihren Vater einen Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof an der Stelle, die für ihn reserviert war.

Ansprache von Guy Grobler, dem Urenkel von Salomon Abraham

Ich kannte meinen Großvater Siegfried Abraham kaum, er starb, als ich 6 Jahre alt war. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass sein Leben wie das eines jeden anderen Deutschen verlief. Er war der zweite Sohn von Louise und Salomon, der im Ersten Weltkrieg in der deutschen Armee gedient hatte. Siegfried hatte zwei Brüder - den älteren Ludwig und den jüngeren Dankmar. Siegfried war Klempner. Ludwig und Siegfried waren auch Mitglieder der Bebraer Feuerwehr.

Die Abrahams lebten über 300 Jahre in Deutschland und sahen sich als Deutsche. Wenn Sie 1930 einem Mitglied der Familie Abraham gesagt hätten, wie seine Situation im Jahre 1940 sein würde, dann hätte man dies, wahrscheinlich wie jeder andere deutsche Jude, als einen geschmacklosen Scherz empfunden.

Doch alles änderte sich. Nazi-Deutschland wandte sich von seiner jüdischen Bevölkerung ab und die Familien wurden auseinandergerissen. Jedes der fünf Mitglieder der Familie Abraham hat ein anderes Schicksal.

Salomon, mein Urgroßvater, nahm sich am 3. September 1942 das Leben, zwei Tage bevor er aus Bebra deportiert werden sollte. Nach all dem Leid, das er seit 1933 zu ertragen hatte, wählte er die „Flucht in den Tod“, wie auf seinem Stolperstein zu lesen ist.

Louise, meine Urgroßmutter, wurde im September 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert und starb ein halbes Jahr später, im Februar 1943, aufgrund der schrecklichen Lebensbedingungen in den Lagern. Louise war allein, als sie starb, weit weg von ihrem Zuhause, ohne zu wissen, was mit ihrer Familie und ihren Freunden geschah. Sie war 65 Jahre alt.

Ludwig, der ältere Bruder meines Großvaters, heiratete eine katholische Deutsche, sie flüchteten und lebten für den Rest ihres Lebens in Straßburg. Wir glauben, dass er der französischen Untergrundbewegung während des Krieges geholfen hat, leider hatten sie keine Kinder.

Dankmar, bekannt als Onkel Danny, wurde von einer Gruppe von Nazis verprügelt, Siegfried konnte ihm beistehen, aber für den Rest seines Lebens litt Danny unter den körperlichen und emotionalen Narben, die dies hinterlassen hatte. Danny heiratete eine deutsche Jüdin namens Erna Moses und sie konnten sich ein Visum für die Vereinigten Staaten verschaffen und Deutschland 1938 verlassen. Leider hatten sie keine Kinder.

Siegfried, mein Großvater, erlebte, wie die Nazis seinen Hund, den er bei sich hatte, hinrichteten, als Strafe dafür, dass Siegfried seinem Bruder Danny half. Dann wurde er ins KZ Buchenwald eingeliefert. Siegfried gelang es, aus Buchenwald herauszukommen, unter der Bedingung, dass er nach Peking, China, ausreisen würde. Die Route nach China führte über das Vereinigte Königreich. Als Siegfried in Großbritannien angekommen war, wollte er dort bleiben, und da er handwerklich ausgebildet war, sagten ihm die Briten, dass er bleiben könne, wenn er sich der Armee anschlösse und als Soldat kämpfen würde, was er tat. Er diente als Soldat während des ganzen Krieges und danach arbeitete er als Zivilist für das Militär. Während seines Lebens in England lernte Siegfried, ein alleinstehender und einsamer deutscher Mann, eine alleinstehende und einsame deutsche Frau kennen, Pearla mit Namen, die ursprünglich aus Kassel stammte und nach vielen Turbulenzen gerade noch rechtzeitig aus Deutschland fliehen konnte. Sie heirateten am 14. Februar 1941 und am 10. Juni 1944 wurde ihr einziges Kind, unsere Mutter Laura Abraham, geboren. Laura wuchs in Hendon bei London in einer kleinen deutsch-jüdischen Gemeinde auf, in der sie fließend Deutsch sprach.

Ich weiß nicht, wie die Einstellung meiner Großeltern oder gar die meiner Mutter zu Deutschland nach dem Krieg war. Ich bin mir ziemlich sicher, dass viele deutsche Juden der Generation, die gelitten hat, und die Kinder dieser Generation traumatisiert waren.

Für die Abrahams war Deutschland ihre Heimat, die Nation, die sie liebten, der sie dienten. Sie waren so stolz, Teil der deutschen Kultur zu sein. Diese Nation verfolgte und ermordete sie. Bis heute halte ich es für unmöglich, das Böse zu begreifen, das geschehen ist.

Durch das heutige Verlegen der Steine sagt Bebra den Abrahams: wir erinnern uns.

Ida Abraham, geborene Fackenheim, wurde am 23. Oktober 1884 als älteste Tochter von Isidor und Rosa Fackenheim geboren. Ihre Eltern betrieben in Bebra, in der Nürnberger Straße 19, ein Hotel. 1905 heiratete sie den neun Jahre älteren Bruder von Salomon, Siegfried Abraham.

1920 richtete Siegfried gegenüber des Geschäftshauses in der Nürnberger Straße ein weiteres Geschäft ein, das 1925 schließlich in das Elternhaus von Ida verlegt wurde.


1906 wurde ihr Sohn Leo geboren. Sein beruflicher Weg führte ihn nach Thüringen und später ins Rheinland. Zusammen mit seiner Frau Lieselotte lebte er zunächst in Düsseldorf und später in Aachen.

Im November 1938 flohen Ida und Sigfried Abraham vor den zunehmenden Drangsalierungen der Bebraer Juden nach Frankfurt. Doch nur wenige Wochen später, am 8. Januar 1939, verstarb Siegfried dort. Ida zog daraufhin zu ihrem Sohn Leo und seiner Frau nach Aachen.

Am 25. Juli 1942 wurden Ida, Leo und Lieselotte Abraham zusammen mit 275 weiteren jüdischen Menschen aus Aachen in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Am 28. September 1944 wurde Leo nach Auschwitz verschleppt, und nur zwei Wochen später, am 12. Oktober, ereilte Ida das gleiche Schicksal. Leo wurde im September 1944 im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet, seine Mutter im Oktober 1944 in Auschwitz.

Familie Abraham und Moses - Lindenplatz 8

  1. Joseph Abraham
  2. Leopold Abraham
  3. Hertha Hanna Moses geb. Abraham
  4. Moritz Moses
  5. Pauline Moses
  6. Moses Moses

Joseph Abraham, geb. 1869 in Solz, war zu Jahresbeginn 1940 ins Kasseler Jüdische Altersheim in der Großen Rosenstraße gegangen. Von Kassel wurde der 73-Jährige am 7. September 1942 mit den letzten ca. 500 Juden, die noch im Regierungsbezirk Kassel lebten, ins Ghetto Theresienstadt verschleppt. Nach zwei Wochen im Ghetto Theresienstadt, am 24. Sept. 1942, war Joseph Abraham tot. Joseph Abrahams Frau Pauline geb. Plaut war 1921 in Bebra verstorben, ihr Grabstein steht auf dem Jüdischen Friedhof in Bebra. 1898 waren die Abrahams aus Solz nach Bebra gezogen.

Leopold Abraham war der Sohn von Joseph und Pauline. Seit September 1939 befand er sich im jüdischen Krankenhaus in Frankfurt. Etwa drei Jahre später, im August 1942 wurde Leopold im Zuge der ersten Massendeportation aus Frankfurt nach Theresienstadt gebracht, wo er nur zwei Wochen später den unmenschlichen Lagerbedingungen zum Opfer fiel.

Hertha Hanna Moses war die Tochter von Joseph und Pauline Abraham. Sie heiratete den Textilhändler Moritz Moses, der aus aus Großropperhausen in der Schwalm stammte. Hertha und Moritz wurden am 30. Mai 1942 zusammen mit ihrer damals 9-jährigen Tochter Pauline und ihrem damals zweijährigen Sohn Moses nach Kassel deportiert und von dort zwei Tage später in den ostpolnischen Bezirk Lublin.

Für Mutter, Tochter und Sohn führte der Weg unmittelbar in das Vernichtungslager Sobibor, während Moritz Moses in das Konzentrationslager Lublin-Majdanek verschleppt wurde, wo er als Zwangsarbeiter eingesetzt wurde. Wie lange der 4o-jährige Moritz Moses den unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen standhielt, blieb ungeklärt.

Das Haus Lindenplatz 8 war das letzte Haus in Bebra, in dem ein jüdisches Kind geboren wurde, und zwar Moses Moses am 23. Januar 1940. Die Namenswahl war nur in sehr eingeschränktem Sinn eine freie Entscheidung, denn im August 1938 wurde angeordnet, dass Juden ihren Kindern ausschließlich Vornamen geben durften, die sie als jüdisch erkennen ließen.

Familie Döllefeld - An der Bebra 1

1. Klara Döllefeld, geb. Wallach
2. Walter Döllefeld (deren Sohn)
3. Mathilde Döllefeld

Klara Döllefeld geb. Wallach stammte aus Nesselröden, jetzt Ortsteil von Herleshausen. Sie hatte den Bebraner Hermann Döllefeld geheiratet, der in der Nürnberger Straße Nr. 30 eine Sattler- und Polstererwerkstatt führte. Nach seinem Tod 1926 betrieb seine Witwe das Geschäft bis 1938 weiter. Ihre Wohnung hatten die Döllefelds An der Bebra 1. Dort war auch eine Werkstatt und ein Möbellager. Das Haus wurde im Dezember 1944 durch Bomben vollkommen zerstört. Zusammen mit 15 anderen Bebraer Juden wurde Klara am 30. Mai 1942 nach Kassel deportiert und von dort am 1. Juni in das Vernichtungslager Sobibor in Ostpolen verschleppt.

Auch Klaras Sohn Walter Döllefeld gehörte zu den 16 am 30. Mai 1942 aus Bebra verschleppten Juden. Er kam im Konzentrationslager Lublin-Majdanek als Zwangsarbeiter zu Tode, das genaue Todesdatum ist nicht bekannt. Walter legte 1928 in Fulda das Abitur ab, nachdem er die Hersfelder Klosterschule bis zur Mittleren Reife besucht hatte. Sein Studium begann er 1928 in Gießen, 1930 setzte er sein Studium in Frankfurt fort - bis zum 30. April 1933. Mit der Fächerkombination Mathematik, Physik und Chemie wollte er Gymnasiallehrer werden. 1936 verlor Walter aufgrund einer groben Misshandlung vollkommen die Sprache.

Mathilde Döllefeld, geboren am 27. Noevember 1872, war eines der 11 Kinder von Sattlermeister Isaak Döllefeld. Mathilde hatte lange Jahre in dem Haus Kirchkranz 82 gewohnt, 1942 lebte sie bei ihrer Schwägerin Klara Döllefeld, An der Bebra 1. Mathilde Döllefeld wurde zusammen mit ihrer Schwägerin Klara und ihrem Neffen Walter am 30. Mai nach Kassel deportiert und von dort am 1. Juni in das Vernichtungslager Sobibor in Ostpolen verschleppt.


Familie Oppenheim - Pfarrstraße 21

1. Johanna Oppenheim geb. Abraham
2. Leo Oppenheim (Sohn von Johanna)
3. Marie Oppenheim geb. Ochs (Ehefrau von Leo)

Johanna Abraham (geb. 23. Nov. 1876) hatte 1902 den Hersfelder Kaufmann Simon Oppenheim geheiratet. Nach dem Tod ihres Ehemannes verlegte Johanna ihren Wohnsitz nach Bebra, Pfarrstraße 21, wo sie einen Handel mit Textilien und Manufakturwaren einrichtete.

Johanna war eine der 6 letzten jüdischen Menschen, die in Bebra lebten. Am 5. September 1942 wurde sie nach Kassel deportiert und von dort zwei Tage später in das Ghetto Theresienstadt. Am 29. September 1942 wurde sie im Vernichtungslager Treblinka in der Gaskammer ermordet.

Leo Oppenheim (geb. 18. April 1903), der Sohn von Johanna und Simon Oppenheim, besuchte das Hersfelder Gymnasium, die „Alte Klosterschule“, bis zur Mittleren Reife 1919. Leo Oppenheim wurde am 12. April 1938 ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert, wo er bis zum 12. April 1939 inhaftiert war. Seine Freilassung war mit der Auflage verbunden, Deutschland innerhalb von zwei Monaten zu verlassen. Im August 1939 gelang ihm die Ausreise nach England. Im Mai 1940 wurde er dort den „enemy aliens“ zugeordnet. Nach einigen Wochen Lagerhaft in England und auf der Isle of Man wurde er in einem Sammeltransport in ein Internierungslager nach Australien abgeschoben. Über die Zustände auf dem hoffnungslos überfüllten Transportschiff „Dunera“ liegen erschreckende Schilderungen vor. Auf der zweimonatigen Überfahrt durch zum Teil tropisches Klima lagen die Internierten eng zusammengepfercht in dunklen Räumen. Ohne die geringsten hygienischen Standards und bei äußerst unzureichender Verpflegung kam es zu zahlreichen schweren Erkrankungen.

Die Monate September bis Dezember 1940 verbrachte Leo Oppenheim in dem Internierungslager Hay in New South-Wales. Die Tage heiß, die Nächte kalt, führte das Klima in dem Lager am Rande der australischen Wüste zu zahlreichen Erkrankungen. Heftige Sandstürme und tropische Regengüsse taten ihr Übriges. Aufgrund einer schweren Erkrankung wurde Leo Oppenheim am 13. Januar 1941 nach dem mehr südlich gelegenen Lager bei Tantura im Bundesstaat Victoria überführt, wo er bis zu seiner Freilassung am 8. Oktober 1942 hinter Stacheldraht saß. Auch danach kam er nur bedingt frei. Bis zum 21. Dezember 1944 musste er sich am 1. eines jeden Monats bei dem zuständigen Polizeirevier melden und durfte sich nur in einem Umkreis von 15 Meilen vom Wohnort bewegen. Für den Weg von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte brauchte er eine besondere Fahrgenehmigung. Leo überlebte alle ihm entgegengebrachten Strapazen. Er heiratete 1948 ein weiteres Mal, wurde Vater und lebte bis zu seinem Tod 1980 in Melbourne.

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Marie Oppenheim geb. Ochs war die am 29. Dez. 1912 in Eisenach geborene Tochter von Karl und Emma Ochs. Sie heiratete Leo Oppenheim. Marie gehörte zu den am 30. Mai 1942 aus Bebra über Kassel in das Vernichtungslager Sobibor im Bezirk Lublin in Ostpolen verschleppten Menschen. Sofort nach ihrer Ankunft wurden sie in einer der Gaskammern ermordet.

Familie Oppenheim - Nürnberger Straße 9

  1. Hugo Oppenheim
  2. Klara Oppenheim geborene Lichtenstein
  3. Egon Oppenheim

Hugo Oppenheim wurde am 2. November 1881 geboren. Als Schriftführer im Bebraer Gardeverein und Vorstandsmitglied im Radfahrverein war Hugo tief in das Vereinsleben und die Stadtgesellschaft integriert. Gemeinsam mit seinem Bruder Moritz führte er ein Warenhaus mit Damen- und Herrenkleidung, Bettwaren, Nähmaschinen und Kinderwägen das die beiden vom Vater übernommen hatten. Das Warenhaus befand sich in der Nürnberger Straße, an der Ecke Mühlstraße.

Während Moritz mit seiner Ehefrau Toni und dem gemeinsamen Sohn Gerd 1938 in die USA fliehen konnten, blieb Hugo in Bebra und erlebte dort, wie sein Geschäft zerstört, seine Möbel versteigert und sein Hab und Gut verbrannt wurde. Nachdem er Ausgrenzung, Diskriminierung, Verfolgung und Beraubung während acht Jahren Hitlerdiktatur standgehalten hatte, entschied er sich am 13. März 1941 für den Suizid. Seine Bestattung auf dem jüdischen Friedhof in Bad Hersfeld war dort die letzte vor Kriegsende.

Klara Oppenheim wurde ebenfalls 1881 geboren. Gemeinsam mit ihrem Mann hatte sie vier Kinder. Egon, die Zwillinge Arnold und Aron, die im Juni 1921 wahrscheinlich als Frühchen geboren wurden und nur vier Wochen überlebten, und Günther, der am 25. Mai 1912 geboren wurde. Günther gelang im November 1938 von Berlin aus die Ausreise in die USA und lebte später in New York. Nach der Pogromnacht flüchteten Hugo und Klara nach Berlin. Günther erfuhr von den Geschehnissen in Bebra aus Briefen seiner Eltern. Klara wurde am 30. Mai 1942 aus Bebra deportiert und im Vernichtungslager Sobibor in Ostpolen sofort nach ihrer Ankunft ermordet.

Egon Oppenheim wurde am 01.04.1925 also Sohn von Hugo und Klara geboren. Er saß im selben Deportationszug wie seine Mutter nach Kassel. Er kam zuerst nach Lubin-Majdanek ins Konzentrationslager, wo er unter schlimmen Lebensbedingungen Zwangsarbeit verrichten musste. Auch er wurde ermordet.

Familie Oppenheim - Nürnberger Straße 36

  1. Willy Oppenheim
  2. Mathilde Oppenheim geborene Tannenberg
  3. Röschen Oppenheim

Willy Oppenheim wurde am 8. August 1868 in Iba geboren. Seine Eltern, Benjamin und Hannchen Oppenheim, stammten aus alten, in der Region verwurzelten Familien – der Vater aus Iba, die Mutter, eine geborene Löwenstein, aus dem nahegelegenen Diemerode. Noch vor 1900 verließ die Familie ihren Heimatort Iba und zog nach Bebra, wo sie sich in der Nürnberger Straße 36 niederließ. Mit ihnen kamen die drei Kinder Willy, Julchen und Röschen Oppenheim, die am 9. September 1870 geboren wurde.

Während Julchen nach Hitlers Machtantritt Bebra verließ und nach Bochum zog, um dort bei einem Verwandten Schutz zu suchen, blieb Röschen zunächst in der Stadt. Sie kümmerte sich um ihren Vater, der seit 1903 Witwer war. Erst 1939 entschied sie sich, ebenfalls nach Bochum zu gehen und sich ihrer Schwester anzuschließen. Doch ihre Zuflucht war nur von kurzer Dauer: 1942 wurden Röschen und Julchen in das Ghetto Theresienstadt deportiert und wenige Wochen später im Vernichtungslager Treblinka ermordet.

Auch ihr Bruder Willy Oppenheim fiel der nationalsozialistischen Verfolgung zum Opfer. Er hatte in Bebra einen Schuhhandel betrieben und war mit 74 Jahren der älteste der Bebraer Opfergruppe. Gemeinsam mit seiner Frau Mathilde wurde er nach Theresienstadt deportiert, wo er am 17. April 1943 starb. Mathilde überlebte ihn nur wenig mehr als ein Jahr – sie verstarb am 14. Juni 1944.

Das Schicksal ihrer Kinder bleibt in Teilen ungewiss. Ihre 1906 geborene Tochter Johanna verstarb bereits im Alter von zehn Jahren. Die zweite Tochter, Bertha, geboren am 3. Juli 1915, meldete sich am 8. Mai 1935 nach Köln ab – ihr weiterer Lebensweg konnte nicht mehr nachvollzogen werden.

Jenny Oppenheim - Nürnberger Straße 26

Jenny Oppenheim geb. Grunsfeld war die 2. Frau von Louis Oppenheim, er starb am 29. April 1931. Sie hatten einen gemeinsamen Sohn Martin (geb. 31.12.1901), der in seinem 30. Lebensjahr nur wenige Wochen nach dem Tod seines Vaters verstarb.

Jenny wurde am 5. September 1942 zunächst nach Kassel und zwei Tage später nach Theresienstadt deportiert. Unmittelbar vor ihrer Deportation hatte sie einer Nachbarin ihr handgeschriebenes Kochbuch und ein gedrucktes „Kochbuch für israelitische Frauen“ überlassen. Beide Bücher sind heute noch erhalten.

Jennys Ehemann Louis Oppenheim war in 1. Ehe mit Jettchen Katzenstein verheiratet gewesen, die am 2. Mai 1900 in einer Klinik in Göttingen verstorben war. Der Name Oppenheim war 1808 von seinem Großvater Manus angenommen worden, als unter der französischen Herrschaft feste Familiennamen für die Juden im Königreich Westfalen zur Vorschrift wurden.

Ihr Sohn Martin ist in Bebra mit seinem Spitznamen Maop in Erinnerung geblieben. Von vielen wurde er als ein besonders aktiv in das lokale Leben eingebundener junger Mann geschildert, der Fußball spielte und im Verein als Schriftführer auch im Vorstand mitwirkte.

Jenny starb am 18. Januar 1943 im Ghetto Theresienstadt.

Mathilde Lindau - Mühlenstraße 6

Mathilde Lindau wurde am 10. Oktober 1870 als Kind von Susmann und Hanna Lindau in Bebra geboren. Sie ist das zweite von elf Kindern. Ihr Bruder Hermann wurde im Alter von nur zwei Jahren 1882 zum Opfer eines christlichen Jungen, der ihn auf schreckliche Weise in der Fulda ertränkte.

Mathildas Bruder Moritz, der am 21. Januar 1877 geboren wurde, war ein erfolgreicher Geschäftsmann und führte ein Betten-Geschäft. Er war außerdem in mehreren Vereinen der erste Vorsitzende. Gemeinsam mit seiner Frau lebte er in Bochum. Dorthin floh auch Mathilde für eine gewisse Zeit. Nachdem sich die Situation für deutsche Juden 1938/39 immer mehr zuspitzte, versuchte Moritz über Brüssel zu seinen in den USA lebenden Söhnen zu fliehen.
Beim Versuch die belgische Grenze zu überwinden, wurde er jedoch geschnappt und in Bochum eingesperrt. Im April 1942 wurde Moritz ins Ghetto Zamosc deportiert, wo er auch starb. 

Mathilde wurde 1942 nach Weißrussland deportiert und am 29.09.1942 in einem mobilen Gaswagen umgebracht.

Familien Katz & Levi - Pfarrstraße 2

  1. Max Katz
  2. Selma Katz geborene Kaufmann
  3. Karl Kurt Katz
  4. Moses Max Levi
  5. Recha Levi
  6. Alfred Levi

Die Familie Katz bestand aus Max Katz, Selma Katz und dem gemeinsamen Sohn Karl Kurt. Selma, geborene Kaufmann, kam am 7. April 1889 in Großkrotzenburg bei Hanau zur Welt. Max Katz wurde am 19. April 1891 in Schenklengsfeld-Erdmannrode geboren. Das Ehepaar lebte zunächst in Schenklengsfeld, wo auch Karl Kurt am 31. Dezember 1925 zur Welt kam.

Im Jahr 1930 zog die Familie nach Bebra und betrieb hier einen Vieh- und Fellhandel. Mit der zunehmenden Verfolgung durch die Nationalsozialisten wurde das Leben für die jüdische Bevölkerung immer unerträglicher. Besonders die Reichspogromnacht, die in Bebra bereits am 7. November 1938 begann, brachte Verwüstung und Gewalt über die jüdischen Familien. Wenige Monate später verließen Max, Selma und Karl Kurt Katz Bebra und suchten Zuflucht in Köln.

Am 20. Juli 1942 wurden sie aus Köln nach Minsk in Weißrussland deportiert. Dort, in der Vernichtungsstätte Maly Trostinec, wurden sie noch im selben Jahr ermordet. Maly Trostinec war eine Hinrichtungsstätte, in der zwischen 1942 und 1944 bis zu 60.000 Menschen, meist jüdischer Herkunft, entweder in Gaswagen erstickt oder im nahegelegenen Wald erschossen wurden.

Die Familie Levi bestand aus Moses Max Levi, seiner Frau Recha und dem gemeinsamen Sohn Alfred. Moses Max Levi stammte aus Niederaula, während Recha Levi in Unsleben, nahe Bad Neustadt an der Saale, geboren wurde. Seit den 1920er-Jahren lebte die Familie in der Friedrichstraße 2, bevor sie 1933 in die Pfarrstraße 2 zog.

Die Levis betrieben einen Handel mit Manufakturwaren und Textilien. Alfred wurde im Jahr 1915 geboren und beendete seine Schulzeit in Bebra am 20. Juni 1929. Danach verließ er die Stadt und lebte an mehreren Orten, unter anderem in Wolfhagen, Bodenfelde und Borken, bevor er sich 1930 in Mannheim anmeldete. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten floh Alfred nach Frankreich. Doch am 20. November 1943 wurde er verhaftet und mit 1200 weiteren Menschen von Drancy bei Paris nach Auschwitz deportiert. Dort musste er Zwangsarbeit leisten, bevor er im Zuge der Evakuierung des Lagers auf einen sogenannten „Todesmarsch“ ins KZ Buchenwald geschickt wurde. Am 24. Februar 1945 starb er dort eines gewaltsamen Todes.

Seine Eltern Moses Max und Recha Levi erlitten ein ebenso grausames Schicksal. Am 1. Juni 1942 wurden sie in das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Nur zwei Tage nach ihrer Ankunft, am 3. Juni 1942, wurden sie dort ermordet.

Familie Rothfels - Nürnberger Straße 58

  1. Theodor Rothfels
  2. Bertha Rothfels
  3. Roni Rothfels
  4. Isidor Rothfels
  5. Julius Rothfels
  6. Else Rothfels geborene Fackenheim
  7. Werner Rothfels
  8. Rosel Rothfels

Die Familie Rothfels lebte seit 1894 in Bebra in der Nürnberger Straße 58, wo sie ein gut laufendes Textilgeschäft betrieb. In den 1930er Jahren wurde die gesamte untere Etage des Hauses als Verkaufsraum genutzt, in dem Stoffe, Strümpfe, Wäsche und Kurzwaren angeboten wurden. Die drei Brüder Julius, Salli und Leopold dienten im 1. Weltkrieg für Deutschland. Nur Julius überlebte seinen Einsatz.

Mit der Reichspogromnacht im November 1938 begann das Ende der Familie Rothfels in Bebra. Ihr Geschäft und ihre Wohnung wurden von Nationalsozialisten mit Äxten und Knüppeln zerstört, das Mobiliar anschließend auf dem heutigen Platz „Am Anger“ verbrannt. Nach diesen schrecklichen Ereignissen flohen Theodor Rothfels, geboren am 5. März 1901, und seine Schwestern Bertha (*16. Juni 1887) und Roni (*3. Mai 1898) nach Köln. Ihre Flucht endete tragisch: Theodor und Bertha wurden 1941 in Riga ermordet, während Roni ins Ghetto von Lodz deportiert wurde, wo sich ihre Spur verliert.

Ein weiterer Bruder, Isidor Rothfels (*5. Februar 1896), hoffte, in Hamburg anonym untertauchen zu können. Doch auch er wurde am 8. November 1941 ins Ghetto von Minsk deportiert und dort ermordet. 

Julius Rothfels (*3. Februar 1885) zog Mitte der 1930er Jahre mit seiner Frau Else (geb. Fackenheim, *1895) und ihren beiden Kindern Werner (*1926) und Rosel (*1929) nach Eisenach, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch auch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Am 9. Mai 1941 wurde die Familie Rothfels mit 54 anderen jüdischen Einwohnern aus Eisenach über Weimar und Leipzig in das Ghetto Belzec südwestlich von Lublin deportiert. Das Amtsgericht Eisenach setzte später den 31. Dezember 1942 als offiziellen Todeszeitpunkt fest. Der Abtransport geschah am helllichten Tag, während die Eisenacher Bevölkerung das Geschehen lediglich beobachtete, ohne einzugreifen.

Einziger Überlebender der Familie Rothfels ist Sohn Max, geboren am 17. August 1903, das jüngste Kind. Max konnte durch Auswanderung nach Südafrika dem Schicksal seiner Geschwister entgehen. Er schaffte dies Ende Dezember 1938, wenige Wochen nach den Ausschreitungen gegen die noch am Ort verbliebenen jüdischen Familien. Seine Frau und seine 1933 geborene Tochter folgten ihm ein Jahr später. Sie hatten ihre Ausreise über Hamburg und ihren Neustart in Südafrika sorgfältig vorbereitet und bereits bei der Deutschen Südafrikalinie Laderaum gebucht, als der Kriegsausbruch im September 1939 ihre Pläne zunichte machte. Nur mit dem Allernötigsten ausgestattet, konnten sie sich eine Schiffspassage ab Venedig beschaffen; fast ihren gesamten Besitz mussten sie zurücklassen. Max Rothfels war es dann auch, der 1952 aus seiner neuen Heimat im südafrikanischen Swaziland Entschädigungsansprüche anmeldete. Über das, was seine Familie und die anderen Juden der Stadt im November 1938 erdulden mussten, berichtet er u. a.: 

„Am 7. November 1938 wurden in Bebra die jüdischen Geschäfte und Wohnungen geplündert, 2 Tage früher wie es sonst in Deutschland los ging. Die beiden Läden wurden vollkommen ausgeraubt und das Warenlager für ca. Mk. 18.000.- verschleppt und auf der Straße verbrannt. In der Küche wurde das Küchenbüffet, die Kredenz, Tisch und Stühle zerschlagen, das Geschirr wurde auf die Erde geworfen und zertrümmert. Man konnte nur auf Glas und Metallscherben treten, die später weggeschafft wurden. Im Wohnzimmer wurde genauso gehaust. Tische und Stühle wurden mit Äxten zerschlagen, 2 Schränke, 1 Schrankgrammophon und ein Vertiko wurden total zertrümmert, nebst dem wertvollen Inhalt an Wäsche, Kristall etc. Im Esszimmer wurde mit dem Eichenbüffet, der Kredenz, den 6 Stühlen, den Sesseln, dem Sofa u.s.w. in gleicher Weise verfahren. Ich schätze den Schaden in der Wohnung auf mindestens Mk. 12.000.“

Quellenhinweis:

Alle aufgeführten Lebensläufe wurden von Dr. Heinrich Nuhn recherchiert und zur Verfügung gestellt. Mehr über die Schicksale der Bebraer Mitbürger jüdischen Glaubens, Informationen zu jüdischen Leben im Kreis Hersfeld-Rotenburg sowie die Ergebnisse seines unermüdlichen Schaffen ist auf www.hassia-judaica.de zusammengetragen und dokumentiert.