Eine Schreckensnacht in Bebra
Als Reaktion auf das Attentat eines polnischen Juden auf einen Legationssekretär der deutschen Botschaft in Paris fanden am 9. November im ganzen Reich Progrome gegen jüdische Häuser und Synagogen statt. In Kurhessen begannen sie bereits am Abend des Attentats am 7. November. Der Bebraer Bürgermeisters Werner Schwichtenberg berichtet dazu an den Landrat des Kreises Rotenburg:
„Als am 7. November 1938 durch den Nachrichtendienst des deutschen Rundfunks bekanntgegeben wurde, daß von einem Juden auf den deutschen Gesandschaftsrat vom Rath in Paris ein Attentat verübt worden sei, löste diese Nachricht überall Empörung aus. Gegen 24 Uhr zogen einzelne Gruppen durch die Straßen der Stadt und zerstörten Fenster und Türen der Wohn- und Geschäftshäuser der Juden sowie die Inneneinrichtungen. Auch das Innere der Synagoge und der Judenschule wurde vollkommen vernichtet … Die Zerstörungen dauerten die ganze Nacht hindurch an und fanden erst in den frühen Morgenstunden ihr Ende. Als dann die Wahrnehmung gemacht wurde, daß die offen liegenden Warenbestände vor Diebstählen nicht gesichert waren, wurde polizeilich eingeschritten … Am 8. November 1938 gegen 10 Uhr war der polizeiliche Zustand wiederhergestellt. Es sammelten sich wohl noch den ganzen Tag über Neugierige vor den Häusern an, jedoch trugen diese Ansammlungen keinen demonstrativen Charakter. Die in Bebra ansässigen Juden verließen zum größten Teil Bebra.“
Gerda Kappes, Mieterin im Haus Hersfelder Straße 7 berichtet in einem Brief über die Ereignisse in der Wohnung des Hausbesitzers Manfred Emanuel:
„Anläßlich des Attentats auf Legationsrat von Rath sind hier große Judenverfolgungen gewesen. In der Nacht vom Montag auf den Dienstag sind verschiedene Fanatiker der Partei in die Judenhäuser eingedrungen, haben die Juden aus den Betten geholt und alles kurz und klein geschlagen. Alle Möbel umgekippt, Porzellan, Glas, Fensterscheiben, überhaupt alles Erreichbare umgekippt und kaputt geschlagen. Vorhänge abgerissen, Stoffe und auch zum Teil Lebensmittel umhergeworfen, elektrische Lampen und Birnen, sogar die Lichtleitungen kaputt geschlagen, bei Emanuels eingebaute Waschbecken, Badewannen, sogar die Mettlarer Platten sind hinüber. Wir hörten die ganze Nacht Spektakel, das Klirren von Glas, dachten aber nichts anders als es sei ein großes Autounglück geschehen. Wir schliefen die ganze Nacht nicht, konnten aber bei der Dunkelheit auch auf der Straße nichts erkennen als nur viele Menschen, ich glaube die Hälfte der Bewohner Bebras waren die Nacht, auf den Beinen … Der Jud Emanuel stand inmitten der Trümmer, kein Fensterkreuz mehr im Haus, keine Türe mehr, sogar die schwere eichene Haustür ist nicht mehr vorhanden, ein Bild des Entsetzens und großen Jammers. Nachmittags sind dann die Juden alle von hier weg, sie mußten wohl auch, denn sie konnten sich ja nirgends aufhalten, noch nicht einmal ein Bett war ja noch ganz … Verschiedene Judenfrauen sind irrsinnig geworden, die junge Frau Levi hat sich die Pulsadern aufgeschnitten. Ich habe nur Emanuels ehemalige Wohnung gesehen, aber alle anderen sind genauso zugerichtet, die Synagoge ist natürlich auch ein Schutthaufen, die Gebetbücher fliegen auf der Straße rum … Minna braucht die Treppe sobald nicht wieder zu wischen, es ist alles bis oben hin weiß von zertretenem Mehl, eine ganz furchtbare Schweinerei drin und draußen. Man hat sogar die Spaliere wo die schönen blauen Blumen dran emporrankten nicht geschont, auch die Steinpfosten liegen um, die sämtlichen Gitter, die Garasche aufgerissen das Auto umgestülpt und kurz und klein geschlagen, auch ein großer Trümmerhaufen … man schätzt, daß 3.000 M. nötig sind, um alles wieder herzustellen, allein nur bei Emanuels.“
Insgesamt wurden inklusive Synagoge und Schule 20 Gebäude beschädigt, der angerichtete Schaden wurde von Bürgermeister Schwichtenberg auf 120.000 Reichsmark geschätzt. Der Bürgermeister wies wenige Tage später auf Basis einer Verordnung von Hermann Göring die jüdische Gemeinde Bebra an, umgehend Wohnhäuser, Synagoge und Schule instand zu setzen. Von einer reichsweiten Verhaftungswelle waren auch Bebraer Juden betroffen.
Quelle: Gerhard Rabe: Über 350 Jahre lebten Juden in Bebra. Gedemütigt, vertrieben und deportiert. In: Magistrat der Stadt Bebra (Hg.): Chronik der Stadt Bebra. 1250 Jahre, Bebra 2019